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«Wertschätzung, Vertrauen und Identifikation sind bei New Work genauso wichtig wie neue Technologien und Arbeitsmodelle.»

Im Rahmen ihrer neuen Studie befragt die plattform renommierte Expertinnen und Experten aus Wirtschaft, Bildung und Forschung zum Potenzial von New Work in der Gesellschaft. Die Digitalexpertin, Dozentin und Verwaltungsrätin Dr. Sarah Genner berichtet über das veränderte Verhältnis zwischen Arbeitgeber:innen und Arbeitnehmer:innen, neue Technologien und dem Potenzial von Aus- und Weiterbildungen.

Der Begriff «New Work» steht u.a. für menschenzentriertes Arbeiten. Was verstehen Sie darunter?

Die Möglichkeit, in einem wertschätzenden Umfeld mobil-flexibel zu arbeiten und mit der Arbeit etwas bewirken zu können. Ein zentraler Faktor für Arbeitszufriedenheit bleibt für viele Mitarbeitende die Beziehung zu den direkten Vorgesetzten. Daher sind Leadership- und Kultur-Themen aus meiner Sicht eng mit New Work verknüpft. Möglichst viel Selbstorganisation wird dabei oft gefordert. Das kann in der Beratungs- und IT-Branche passen, aber anderswo können rollenbasierte Organisationsformen auch demotivieren. Eine Organisationsform muss vor allem auch zur Branche, zur Belegschaft und zur Tätigkeit passen.

«Technologie ist weder gut, noch schlecht, aber auch nicht neutral. Wer Technologie mit welchen Absichten einsetzt, ist die relevante Frage.»

Fördern oder hindern neue Technologien das menschenzentrierte Arbeiten?

Sowohl als auch. Technologie ist weder gut, noch schlecht, aber auch nicht neutral. Wer Technologie mit welchen Absichten einsetzt, ist die relevante Frage. Technologie kann Arbeitsprozesse zusätzlich unterstützen: Wer bereits strukturiert und zielgerichtet arbeitet, wer zuverlässig ist und ein Gespür dafür hat, wann es sinnvoll ist, Technologie einzusetzen und wann analoge und physische Arbeitsformen eingesetzt werden, wird stark von den Möglichkeiten profitieren. Eine eher unstrukturierte Arbeitstechnik kann durch Technologie noch zusätzlich ineffizienter werden. Die Explosion von Möglichkeiten, auf welchen digitalen Kanälen zusammengearbeitet werden kann, bedingt es, dass man zusätzlich mehr darüber kommunizieren sollte, wo und wie man zusammenarbeitet.

Ein ganz anderes Thema noch: Neue Technologien ermöglichen misstrauischen Arbeitgeber:innen technologische Überwachungsmassnahmen ihrer Mitarbeitenden. Eine Misstrauenskultur kann durch Technologie zusätzlich verstärkt werden, während das Gegenteil auch der Fall ist: Eine wertschätzende Kultur wird von Möglichkeiten des digitalen und mobil-flexiblen Arbeitens noch profitieren.

Wie verändert sich das Verhältnis zwischen Arbeitgeber:innen und Arbeitnehmer:innen durch New Work?

Digitale Transformation ermöglicht mobil-flexibles Arbeiten und führt zu mehr Selbstführung, Führung auf Distanz und Führung über digitale Kanäle. Das Thema Vertrauen zwischen Arbeitnehmenden und Vorgesetzten und die Identifikation mit dem Job, dem Team und der Organisation werden durch diese Trends verändert.

Zentral ist, die Zufriedenheit bei der Arbeit zu fördern. Und Vertrauen ist die Voraussetzung dafür. Dass man Mitarbeitenden vertraut, dass sie ihre Arbeit erledigen, z.B. im Homeoffice. Wertschätzung, Vertrauen und Identifikation sind genauso wichtig wie neue Technologien und Arbeitsmodelle.

Liegt darin das wahre Potenzial von New Work?

Das hängt von der Definition von New Work ab. Nach meiner pragmatischen Definition ist die Hoffnung, durch bessere Arbeitsbedingungen im digitalen Wandel zufriedenere Arbeitskräfte zu haben, die auch dadurch motiviert sind, zu einer Gesellschaft beizutragen, die mit ihrer Art zu wirtschaften, den Planeten nicht noch gravierender zerstört.

«Es gibt zahlreiche Betriebe, in denen toxische Arbeitskulturen herrschen und Wertschätzung fehlt. New Work ist in vieler Hinsicht einfach Good Work.»

Wo liegt aus Ihrer Sicht der grösste Handlungsbedarf in Punkto Regulierung? Welche Rahmenbedingungen müssen angepasst werden, damit New Work auch wirklich funktionieren kann?

New Work ist in vieler Hinsicht einfach «Good Work». Es gibt zahlreiche Betriebe, in welchen toxische Arbeitskulturen herrschen, wo Wertschätzung fehlt. Wie heisst es so schön: «People don’t leave jobs, they leave bosses.» Daher sehe ich das grösste Potenzial in der Bildung und Ausbildung von Führungsqualitäten und dem Konfliktmanagement.

Wie können Arbeitgeber:innen das sinnstiftende Arbeiten fördern?

Sie können eine klare gemeinsame Vision, verknüpft mit gemeinsamen Wertehaltungen, für die ganze Organisation erarbeiten. Diese Vision und Werte können dann in den Teams vertieft werden: Was bedeutet dies konkret für die Funktion unseres Teams? Das ist eine bereits erprobte Methode, um Mitarbeitende mit dem «Purpose» zu verknüpfen.  

Müsste sich das Bildungssystem weiter verändern?

Digitale Kompetenzen und überfachliche Kompetenzen und Soft-Skills sind mit dem LP21* schon aufgenommen worden. Ich habe früher nebenbei KV-Lernende unterrichtet. Gerade durch das duale Bildungssystem sind wir in der Schweiz viel besser aufgestellt und können junge Leute auf die aktuellen Erfordernisse im Berufsleben vorbereiten. Im Berufsbildungssystem können junge Menschen fach- und berufsspezifische digitale Kompetenzen besser erlernen. Dasselbe gilt auch für Methoden- und Sozialkompetenzen, die im betrieblichen Setting deutlich besser als im schulischen erlernt werden können.

Daher setze ich mich stark für die Berufsbildung ein. Einige Bildungsfachleute fordern eine Matura für alle, da es angeblich im digitalen Wandel mehr Hochschulabgänger:innen brauche. Persönlich bin ich gegen eine Ausweitung der Gymnasialquote. Ja, unsere Arbeitswelt wird komplexer und gewisse Berufslehren verlängern sich auch deswegen. Aber gerade wegen des besseren und praxisnahen Kompetenzerwerbs sind Berufslehren klar im Vorteil. Ausserdem übernehmen hierzulande Unternehmen Verantwortung für die arbeitsmarktnahe Ausbildung. Dies ist global gesehen fast einzigartig, und daran sollten wir nicht unnötig rütteln.

 

* Der Lehrplan (LP21) legt die Ziele für den Unterricht aller Stufen der Volksschule in der deutschsprachigen Schweiz fest und ist ein Planungsinstrument für Lehrpersonen, Schulen und Bildungsbehörden. Er orientiert Eltern und Erziehungsberechtigte, Schüler:innen, die Abnehmer:innen der Sekundarstufe II, die pädagogischen Hochschulen und die Lehrmittelschaffenden über die in der Volksschule zu erreichenden Kompetenzen.

 

Jahresthema 2023: New Work

Gemeinsam mit zahlreichen Expertinnen und Experten erkundet die plattform im Jahr 2023 das Potenzial von New Work in der heutigen Gesellschaft und identifiziert allfälligen Handlungsbedarf für Politik und Wirtschaft. Bei diesem Interview handelt es sich um einen Auszug aus dem Gespräch mit Dr. Sarah Genner. Ein vollständiger Ergebnisbericht sowie konkrete Policy-Empfehlungen werden im Winter 2023 vorliegen.

Zur Person

Dr. Sarah Genner ist Digitalexpertin, Dozentin und zweifache Verwaltungsrätin. Ihr Spezialgebiet sind die Auswirkungen digitaler Medien und Technologien auf Mensch, Gesellschaft und Arbeitswelt. Dr. Sarah Genner hat in Zürich, Berlin und Harvard studiert, promoviert, gelehrt und geforscht. Seit 2018 ist sie selbstständige Expertin, Unternehmensberaterin, Verwaltungsrätin, Dozentin an zahlreichen Hochschulen und Studiengangsleiterin des CAS New Work an der Hochschule für Wirtschaft Zürich HWZ.  

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