zurück zur Übersicht
 |    | 
  • News
  • Wirtschaft & Arbeitsmarkt

A brief history of New Work

Flexibles Arbeiten, Work-Life-Blending, neue Arbeitsstrukturen, sinnstiftende Tätigkeiten, Selbstfürsorge… «New Work» als Schlagwort für «Arbeit, die wir wirklich wirklich wollen» ist kein neumodisches Phänomen der frühen 2020er Jahre. «New Work» wird bald 50 Jahre alt – und ist dennoch aktueller denn je.

Der Begriff «New Work» ist auf den deutsch-amerikanischen Sozialphilosophen und Anthropologen Frithjof Bergmann (1930-2021) zurückzuführen. In seinem Buch «Die Freiheit Leben» beschrieb er 1977, dass echte Freiheit erst entstehen kann, wenn Menschen wissen, was sie mit ihrem Leben wirklich, wirklich tun möchten und es ihnen auch ermöglicht wird, dies umzusetzen. Dies war der Grundstein seiner Theorien zu New Work, als Schlagwort für unterschiedliche Arbeits- und Organisationsmodelle, welche 2004 in Buchform erschienen. Doch ist Bergmanns Utopie heute tatsächlich im Mainstream angekommen?

Bergmanns Ideen waren stark von seinen Erfahrungen während und nach dem Zweiten Weltkrieg geprägt. Seine jüdische Familie wurde im Krieg auseinandergerissen. Er verbrachte einige Jahre mehr oder weniger auf sich allein gestellt auf einem Bauernhof, bis er nach der Matura mit einem Stipendium in die USA aufbrach. Diese Erfahrungen des Faschismus, der Selbstversorgung und der Befreiung ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten beeinflussten seine Ideen nachhaltig.

Von Krisen in den 1970 Jahren…

Die Thesen zu New Work entstanden im Sinne einer Kapitalismuskritik und gleichzeitig als Gegenmodell zum Kommunismus. Die Menschen sollten wegkommen von der Knechtschaft der Lohnarbeit, hin zu mehr Selbstbestimmung und Unabhängigkeit des Einzelnen. Die Ölkrise in den 1970er Jahren und die beginnende Automatisierung zahlreicher Prozesse führte zu grossen Stellenverlusten in der Automobilbranche, welche in Flint, in der Nähe seines Wohn- und Arbeitsortes Ann Arbor in Michigan, grosse Auswirkungen auf die US-Bevölkerung hatte. Daraus entstand die Idee, dass man sich von der Lohnarbeit zumindest teilweise lösen müsste. In Flint, dem damals grössten Produktionsstandort von General Motors, wurden 1977 auch die ersten «Zentren für Selbsterkenntnis» gegründet. In diesen Zentren sollten Menschen, die vom Strukturwandel betroffen waren, herausfinden, was sie wirklich, wirklich mit ihrem Leben anfangen wollen. Dies würde man heute wohl – nicht unironischerweise – berufliche Boxenstopps nennen.

Bergmann propagierte, man sollte «die Arbeit, die man wirklich, wirklich tun will» verrichten können. «Es geht nicht um eine Ergänzung zur Lohn- und Fabrikarbeit. Die Neue Arbeit ist nicht das Bemühen, Lohnarbeit zu dehnen oder umzustrukturieren. Es geht um die unendliche Menge an Arbeit jenseits der Lohnarbeit, die durch New Work-Projekte gefördert werden soll.»

… zu einer neuen Art des Wirtschaftens

Sein Fazit aus einer Vielzahl von New Work-Projekten war, dass «die Neue Arbeit und das wirklich, wirklich Wollen eine materielle Grundlage braucht, eine eigene ökonomische Basis. Es wird keine Alternative zu unserer gegenwärtigen Kultur geben, solange wir keine alternative Wirtschaftsform schaffen, auf deren Basis sich die neue Kultur entwickeln kann. Wir brauchen ein neues System der Produktion. Die Herstellung von Lebensmitteln und Gegenständen sowie Dienstleistungen dürfen nicht länger von der Lohnarbeit abhängig sein.» (vgl. Neue Arbeit Kompakt, 2020, S. 42)

Als High-Tech-Eigen-Produktion (siehe Grafik unten) verstand er die Möglichkeit – mit Hilfe modernster Hilfsmittel – vom herkömmlichen System der Produktion wegzukommen und Produkte und Dienstleistungen selbst zu produzieren. So wird gemäss Bergmann, der Kreislauf der Lohnarbeit, die allein dazu dient, Dinge und Dienstleistungen zu erwerben, unterbrochen und damit Arbeit, die man wirklich, wirklich will, zu ermöglicht.

Bergmann war allerdings keinesfalls der Einzige, der Ende 1970er Jahre die Arbeit verändern wollte. Alvin Toffler propagierte 1980 beispielsweise das «Electronic Cottage» – ein Vorreiter von Homeoffice schlechthin.  Das «Electronic Cottage» ist an den Begriff «Cottage Industry», also Heimarbeit angelehnt.

Toffler war überzeugt, dass die Kosten für elektronische Arbeitsgeräte bald unter die Kosten für zentrale Büroräumlichkeiten und Transportkosten sinken würden und sich die Arbeit von zu Hause finanziell rechnen würden. Auch die durch den Verkehr verursachte Umweltverschmutzung würde abnehmen und Menschen würden keine Zeit mehr mit Pendeln verschwenden. Homeoffice sah Toffler als Möglichkeit für White Collar Workers, selbständiger zu werden und sich vom System der Produktion zu emanzipieren.

Er schrieb 1981: «By 2006, or perhaps even much sooner, a new production system will emerge, one that makes possible a return to cottage industry on a new, higher, electronic basis, and with it a new emphasis on the home as the center of society—a home with a low-cost workstation, with a «smart» typewriter, perhaps, along with a facsimile machine or computer console and teleconferencing equipment…. Many people will work at home part-time and outside the home as well. Dispersed work centers will no doubt proliferate.» Seine Vision erwies sich als akkurat, allerdings war er was den Zeitpunkt der Umsetzung anbelangt etwas zu optimistisch.

Bereits in der New Work angekommen?

Auch das Revival von New Work ist auf einen Strukturwandel zurückzuführen. Die Digitalisierung, verbunden mit der Globalisierung, hat grosse Veränderungen für Wirtschaft und Gesellschaft gebracht – positive wie auch negative.

Technologische Errungenschaften wie Robotics, Virtual Reality und Künstliche Intelligenz bringen in der öffentlichen Wahrnehmung erhebliche Veränderungen der Arbeit mit sich. Routinetätigkeiten verschwinden in gewissen Tätigkeiten, anspruchsvollere Tätigkeiten nehmen zu. Die räumliche Ungebundenheit der Arbeit ermöglicht neue Wege, Arbeit und Privatleben zu vereinen. Plattformarbeiten, d.h. alle Dienstleistungen, die über web-basierte Plattformen vermittelt oder erbracht werden, sind ein gutes Beispiel dafür. Diese Tätigkeiten können lokal verrichtet werden (Gig-Work) oder online (Click- oder Cloud-Work). Die Grenzen zwischen Online- und Offlinearbeit verlaufen jedoch grundsätzlich fliessend. Dadurch stellen Plattformtätigkeiten neue Verhältnisse zwischen Konsumenten, Arbeit-, Arbeitskraft- und Produkt-Anbieter:innen her. Diese veränderte Arbeitswelt wird u.a. unter den Begriffen «New Work», «Future of Work» oder «Arbeit 4.0» subsummiert.

Gleichzeitig ist eine erhöhte Sinnsuche bei der Arbeit festzustellen – auch genannt Sinn-Ökonomie. Menschen wollen eher weniger arbeiten, mehr Zeit für ihre Hobbies und Familien haben und suchen Arbeit, welche ihnen Spass macht. Ideale Voraussetzungen für das Konzept von New Work also?

Eine Metaanalyse der Verwendung von New Work in Theorie und Praxis (vgl. Aroles et al. 2019) hat ergeben, dass es im öffentlichen und wissenschaftlichen Diskurs bei New Work Gewinner und Verlierer gibt: eine hochausgebildete Elite (high-skilled) kann die Vorteile neuer Arbeitsformen für sich nutzen und ihre Work-Life-Balance verbessern, während ein wenig ausgebildetes Prekariat (low-skilled) aus ihren Jobs gedrängt werden, schlechtere Anstellungsbedingungen geniessen und sich auch noch ständig weiterbilden oder umschulen müssen.

Der Strukturwandel wird als Treiber des Wandels der Arbeitswelt gesehen und die Hauptverantwortung für die Anpassung an den Wandel wird bei den Arbeitnehmenden platziert. Diese müssten sich durch «Upskilling» resp. Weiterbildung an die Veränderungen anpassen Je nach Autorenschaft werden dabei andere Massnahmen vorgeschlagen: Während Consulting Firmen vor allem Massnahmen bei den Individuen (Skillset) und bei den Firmen (Führung/Leadership) sehen und Chancen des Wandels hervorheben, betonen, internationale Organisationen, Gewerkschaften und der öffentliche Sektor die Risiken und propagieren  Massnahmen, welche durch die öffentliche Hand vollzogen werden, wie bezahlte Care-Arbeit oder bedingungsloses Grundeinkommen (vgl. Schloegl et al. 2021).

New Work in der Schweiz: Utopie oder Realität?

Auch in der Schweiz gibt es diese Dichotomie: Während politisch die Mitte-Rechts-Parteien eher eine Liberalisierung der Arbeit fordern (Arbeitsgesetz, neue Regeln für Start-ups, neue Technologien, Flexibilisierung Arbeitszeit und des Arbeitsorts), setzt die politische Linke auf Schutz der wahrgenommenen Verlierer von New Work (ältere Arbeitnehmende, Plattformarbeiter:innen, Tieflöhner:innen usw.) und eine Verkürzung der Erwerbsarbeitszeit.

Wo findet sich nun die Bergmannsche Aufteilung der Arbeit in Erwerbsarbeit, Arbeit, die man wirklich, wirklich will und High-Tech-Eigenproduktion wieder? Im Fokus auf die Sinnhaftigkeit der Arbeit, das Propagieren von Nachhaltigkeit, die Forderung nach kürzeren Arbeitszeiten und eine bessere Vereinbarkeit. Alles Forderungen, welche im aktuellen öffentlichen Diskurs zu finden sind. Die Utopie von Bergmann ist also im Mainstream angekommen. Einzig der Weg dazu unterscheidet sich, je nach Fokus und politischer Couleur.

Jahresthema 2023: New Work

Gemeinsam mit zahlreichen Expertinnen und Experten erkundet die plattform im Jahr 2023 das Potenzial von New Work in der heutigen Gesellschaft und identifiziert allfälligen Handlungsbedarf für Politik und Wirtschaft.

Aufteilung der Arbeit (Quelle: Bergmann, Neue Arbeit Kompakt, 2020)

nach oben