Fachkräftepotenzial

Wirtschaft & Arbeitsmarkt

Der demographische Wandel beeinflusst den Arbeitsmarkt der Zukunft. Der Fachkräftemangel verschärft sich. Neben Massnahmen zum Erhalt der Arbeitsmarktfähigkeit von älteren Arbeitnehmenden ist demnach auch eine höhere Arbeitsmarktbeteiligung der inländischen Bevölkerung – vor allem der Frauen – gefragt. Gerade Massnahmen, die finanzielle Anreize schaffen oder die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben verbessern, haben einen signifikanten Erwerbseffekt auf diese Bevölkerungsgruppe.

Elternzeit

Forderung

Die plattform fordert eine bezahlte Elternzeit, welche Mütter und Väter zu gleichen Anteilen beziehen können. Teil davon sind weiterhin mindestens 14 Wochen Mutterschaftsurlaub und neu zwei Wochen Vaterschaftsurlaub. Über die geburtsbezogene Betreuungszeit hinaus soll eine flexibel beziehbare und zwischen beiden Eltern aufgeteilte Elternzeit beansprucht werden können.

Argument

In einer modernen Gesellschaft liegt die Verantwortung für die Betreuung der Kinder bei beiden Elternteilen. Die Karriererisiken, die mit dem Kinderhaben verbunden sind, werden dadurch geteilt und reduziert. Zudem fördert eine Elternzeit auch die mittel- und langfristige Integration der Mütter in den Arbeitsmarkt.

«In der Schweiz betrachtet man Elternschaft traditionell eher als private Angelegenheit, und zwar vor allem der Frauen. Das ist rückständig. Bei einer Einstellung haftet Frauen im gebärfähigen Alter heute einseitig das Risiko einer Schwangerschaft mit anschliessender Absenz an. Eine Elternzeit für Mütter und Väter würde die Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt verbessern.»

- Nadine Hoch, Vizepräsidentin der Eidgenössischen Kommission für Familienfragen (EKFF)

Analyse

In der Schweiz hat eine Mutter nach Geburt des Kindes Anrecht auf 14 Wochen Mutterschaftsurlaub. Die Mutterschaftsentschädigung entspricht 80% des durchschnittlichen Einkommens, höchstens aber CHF 196.– pro Tag. Väter haben seit 2021 Anspruch auf zwei Wochen Vaterschaftsurlaub. Damit befindet sich die Schweiz im OECD-Vergleich weiterhin am unteren Ende der Rangliste der Anspruchsberechtigung. Während die Hälfte der OECD-Länder eine Mutterschafts- oder Elternzeitdauer von mindestens 43 Wochen gewährt (im Durchschnitt sogar 54 Wochen), kennt die Schweiz bis heute einzig die (geburtsbezogene) Mutterschaftsentschädigung. Selbst diese gibt es erst seit Juli 2005. Es besteht also dringender Handlungsbedarf.

Eine Elternzeit sowie ein geburtsbezogener Vaterschaftsurlaub können dazu beitragen, dass die Kinderbetreuung von Anfang an nicht nur als Aufgabe der Mutter, sondern als Aufgabe beider Elternteile betrachtet wird. Dies fördert die Gleichberechtigung und mittel- und langfristig auch den Wiedereinstieg und die Integration von Müttern in den Arbeitsmarkt. Denn Frauen sollten durch das Muttersein nicht einseitige finanzielle Nachteile oder Karrierehemmnisse erleiden.

Für Frauen wird der Anreiz, nach dem Mutterschaftsurlaub wieder substanziell in den Arbeitsmarkt einzusteigen, jedoch vor allem mit einer Elternzeit erhöht, da die Familienarbeit gleichberechtig aufgeteilt werden kann. Das Potenzial an weiblichen Fachkräften kann dadurch besser genutzt und deren Erwerbsbeteiligung erhöht werden (vgl. Metaanalyse EKFF). Davon profitieren auch Unternehmen – der Arbeitsmarkt ist auf gut qualifizierte Frauen angewiesen. Eine höhere Erwerbsbeteiligung mildert negative Wachstumseffekte und verhindert einen starken Anstieg des Altersabhängigkeitsquotienten, welcher für den Arbeitsmarkt und die Altersvorsorgeeinrichtungen eine Gefahr darstellt (vgl. Studie EC Science Hub). Zudem führt ein höheres Erwerbseinkommen der Frauen, respektive der Haushalte, zu einem positiven finanziellen Effekt auf Steuereinnahmen und Sozialversicherungen und die Bildungsrendite für Staat und Gesellschaft wird erhöht.

Engagement

Im Sinne einer zukunftsgerichteten Bildungs-, Sozial- und Wirtschaftspolitik setzt sich die plattform schon seit langem für Gleichberechtigung, sowohl in der Arbeitswelt als auch in der Familienpolitik, ein. Weil das Kinderhaben Aufgabe der Eltern und nicht ausschliesslich der Mutter ist und Frauen nicht einseitige finanzielle- und karrierebremsende Nachteile haben sollen, muss Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben auf gesellschaftspolitischer Ebene für beide Elternteile gefördert werden. Dazu gehört auch eine Elternzeit, die den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedürfnissen Rechnung trägt.

Ältere Arbeitnehmende

Forderung

Die plattform fordert faire Bedingungen für alle Berufsleute am Arbeitsmarkt. Der Erhalt der Arbeitsmarktfähigkeit ist dabei massgebend. Ein besonderer Fokus gilt älteren Arbeitnehmenden: Arbeitgeber und Arbeitnehmer haben beide rechtzeitig dafür zu sorgen, dass Arbeitskräfte für die Zukunft gerüstet sind und ihren Altersrücktritt flexibel gestalten können.

Argument

Die grössten Schwierigkeiten für ältere Arbeitnehmende sind mit der Stellensuche und dem Altersrücktritt verbunden. Zwar sind ältere Arbeitnehmende unterdurchschnittlich von Arbeitslosigkeit betroffen, benötigen aber im Falle von Erwerbslosigkeit oft mehr Zeit, um eine neue Stelle zu finden, als andere Altersgruppen.

«Die plattform fordert faire Bedingungen für alle Berufsleute am Arbeitsmarkt. Dabei ist der Erhalt der Arbeitsmarktfähigkeit - vor allem bei älteren Arbeitnehmenden massgebend. Arbeitgeber und Arbeitnehmer haben beide rechtzeitig dafür zu sorgen, dass Arbeitskräfte für die Zukunft gerüstet sind und ihren Altersrücktritt flexibel gestalten können.»

Analyse

Aktuelle Studien zur Alterung und Beschäftigungspolitik (vgl. Länderbericht OECD) empfehlen der Schweiz schon seit längerer Zeit folgende Reformen im Bereich ältere Arbeitnehmende:

  • Stärkung der Anreize für längeres Arbeiten und Abflachung von Altersgutschriften in der zweiten Säule.
  • Beseitigung von Altersdiskriminierung und Hindernissen bei der Rekrutierung älterer Arbeitnehmender und ihren Verbleib im Arbeitsmarkt.
  • Flexible Lohnsysteme (unabhängig vom Dienstalter).
  • Verbesserung der Arbeitsmarktfähigkeit von älteren Arbeitskräften insbesondere solchen, deren Arbeit von der Digitalisierung betroffen sind.

Der erste Punkt schliesst Massnahmen wie die Umsetzung der Reform Altersvorsorge, den Abbau von Frühpensionierungsanreizen und eine bessere Unterstützung von älteren Erwerbslosen mit ein. Beim zweiten und dritten Punkt sind vor allem die Arbeitgeber gefragt: Bekämpfung von Diskriminierung, Lohnbemessung nach Erfahrung und nicht nach Alter, aktives Altersmanagement in den Betrieben. Bei der Arbeitsmarktfähigkeit geht es um die Stärkung von Grundkompetenzen, die Förderung von Weiterbildung – auch bei älteren Arbeitnehmenden, zielgerichtete Begleitung in regionalen RAV und auch spezifische Massnahmen für weibliche Arbeitskräfte, da die Erwerbskarrieren von Frauen oft durch Unterbrüche geprägt sind.

Am Ende der beruflichen Karriere wiegt Arbeitslosigkeit besonders schwer. Oft ist es schwieriger, wieder eine neue Anstellung zu finden. Der Erhalt der Arbeitsmarktfähigkeit ist dabei zentral. Zwar soll berufliche Erfahrung auch entsprechend abgegolten werden, dennoch sollten Arbeitnehmende nicht wegen steigender obligatorischer Sozialbeiträge «teurer» werden. Die plattform unterstützt entsprechende Anpassungen in der beruflichen Vorsorge (Einheitssatz oder Abflachung).

Zudem befürwortet die plattform Ansätze, welche zur Verbesserung der Arbeitsmarktfähigkeit von Beschäftigten beitragen. Dabei setzt sie auf die Sensibilisierung der Führungskräfte und Arbeitgeber, auf Prävention (Weiterbildung) sowie auf faire Bedingungen bei der Rekrutierung und eine altersgerechte Gestaltung der Arbeitsbedingungen und -inhalten (Altersmanagement). Bei der Anerkennung der Berufserfahrung, der Flexibilisierung in der Weiterbildung und dem Erwerb von Grundkompetenzen für Erwachsene besteht noch ein grosser Verbesserungsbedarf. Eine Umfrage der plattform hat gezeigt, dass Altersmanagement im Betrieb dazu führen kann, dass sich Arbeitnehmende fairer behandelt fühlen. Altersmanagement soll sich aber nicht nur auf die Pensionierungsphase konzentrieren, sondern bei allen Generationen regelmässige Boxenstopps einführen um über die nächsten Schritte in der Karriere nachzudenken und allfällige Lücken bei den Skills stopfen zu können.

Engagement

Die plattform vertritt die Mehrheit der Beschäftigten, die Angestellten in Dienstleistungs- und Wissensberufen. Eine Befragung der über 85 000 Mitglieder der sieben Mitgliederverbände hat gezeigt, wie der Umgang mit älteren Arbeitnehmenden in den Betrieben wahrgenommen wird. Insbesondere mit ihren Mitgliedverbänden aus den Bereichen Kader und HR verfügt die plattform so über die idealen Voraussetzungen, um ein Kompetenz-Cluster zum Thema Altersmanagement aufzubauen. Die Resultate der Befragung und die darauf aufbauenden Guides "Leitfaden Smartes Altersmanagement für das Unternehmen 2.0" und "Empfehlungen für ältere Arbeitnehmende" sind frei als Download erhältlich.

Individualbesteuerung

Forderung

Die plattform setzt sich für ein faires, zukunftsfähiges Steuersystem ein, welches nicht nur die sogenannte Heiratsstrafe, sondern auch den Hemmschuh für eine höhere Beschäftigung der Frauen eliminiert. Sie fordert die Einführung einer modifizierten und zivilstandsunabhängigen Individualbesteuerung für die direkte Bundessteuer.

Argument

Das System einer modifizierten Individualbesteuerung schafft jegliche Zivilstandsbestrafung in den Steuern und damit auch negative Erwerbsanreize auf den Zweiteinkommen ab. Nebst einer horizontalen Steuergerechtigkeit zwischen den Haushaltstypen führt dies auch zu positiven Beschäftigungseffekten (von bis zu 60'000 zusätzlichen Vollzeitäquivalenten) – insbesondere bei weiblichen Arbeitskräften.

 

«Das aktuelle Steuersystem basiert nach wie vor auf dem Familienmodell der Nachkriegszeit: Nach der Heirat gibt die Frau die Erwerbstätigkeit für den Rest ihres Lebens auf. Mit einer Individualbesteuerung könne nicht nur das weibliche Arbeitskräftepotential viel besser genutzt werden. Auch die Gleichstellung der Frauen im Erwerbsleben würde entschieden verbessert.»

- Kathrin Bertschy, Nationalrätin glp und Co-Präsidentin der alliance F

Analyse

In der Schweiz werden verheiratete Paare vom Bund und von den Kantonen zu Steuerzwecken gemeinschaftlich veranlagt. Damit gehört die Schweiz gemeinsam mit Frankreich und Portugal (Familiensplitting) zu einer Minderheit in Europa. Aufgrund der Steuerprogression führt die gemeinsame Veranlagung zu einer höheren Steuerlast für ein Doppelverdiener-Ehepaar gegenüber einem Doppelverdiener-Konkubinat mit gleichem Haushaltseinkommen. Eine Erwerbsarbeit für Zweiteinkommen, vor allem in Kombination mit betreuungspflichtigen Kindern, lohnt sich kaum mehr, da gerade mittlere und höhere Einkommen (ab ca. CHF 90 000.– Haushaltseinkommen) die Vollkosten für die Betreuung in Krippen etc. zahlen müssen.  Hinzu kommt, dass rund 90% der Zweitverdiener/innen Frauen sind.

Arbeit muss sich schliesslich rechnen. Es kann nicht sein, dass der Zweitverdienst fast vollends von den Kosten für die Kinderbetreuung verschlungen wird. Das heutige System der Ehepaarbesteuerung setzt Fehlanreize für die Erwerbsarbeit. Es gibt zwei Möglichkeiten, diese Fehlanreize zu beseitigen: Durch die Abschaffung der Progression (Flat Tax) oder die Einführung einer Individualbesteuerung. Ersteres ist politisch nicht erwünscht. Auch hat die Abschaffung der Progression gemäss Studien (vgl. Bick und Fuchs-Schündeln) nur einen minimalen Effekt auf Zweitverdiener/innen.

An dieser Stelle setzt der Vorschlag einer modifizierten Individualbesteuerung an: Allein bei der Bundessteuer hätte sie eine Zunahme der Beschäftigung von rund 19 000 Beschäftigten (Vollzeitäquivalente) zur Folge (vgl. ECOPLAN Studie). Auf kantonaler Ebene dürften weitere rund 20 000 bis 40 000 Arbeitskräfte resultieren. Unternehmen könnten so auf ein Fachkräftepotenzial von bis zu 60 000 zusätzlichen vollzeitäquivalenten Beschäftigten zurückgreifen. Die höheren Ausgaben von Familien mit Kindern würden aber weiterhin steuerlich berücksichtigt.

Mit einer Individualbesteuerung kann das weibliche Arbeitskräftepotential viel besser genutzt werden. Ausserdem können sich Frauen eine ausreichende Altersvorsorge aufbauen. Wer seine Erwerbstätigkeit während der Familienphase und danach reduziert oder aufgibt, entrichtet weniger Beiträge in die berufliche Vorsorge. Das schmälert die finanzielle Vorsorge für das Alter. Gerade Frauen sind im Alter deshalb finanziell häufig schlechter gestellt und auf staatliche Ergänzungsleistungen angewiesen.

Engagement

Bei der plattform geniessen die Gleichstellung von Mann und Frau und eine bessere Vereinbarkeit von Beruf, Ausbildung und Privatleben einen hohen Stellenwert. Neben besseren Rahmenbedingungen für flexibles Arbeiten oder einer Senkung der Kosten für familienexterne Kinderbetreuung setzt auch eine smarte Individualbesteuerung die richtigen finanziellen Anreize. Die Steuerlast wird unter den zahlreichen Haushaltstypen gerecht und unabhängig vom Zivilstand verteilt. Auch erhöhen steuerliche Anreize den Anteil an Frauen auf dem Arbeitsmarkt.

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