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«Psychologisches Empowerment hat nicht nur einen positiven Einfluss auf die Arbeitszufriedenheit, die Bindung an die Organisation und die Produktivität, sondern auch auf die Gesundheit der Arbeitnehmenden.»

Im Rahmen ihrer neuen Studie befragt die plattform renommierte Expertinnen und Experten aus Wirtschaft, Bildung und Forschung zum Potenzial von New Work in der Gesellschaft. Für Ecoplan nehmen Dr. Michael Marti und Dominik Robin die Aspekte Raumplanung und Gesundheit genauer unter die Lupe und zeigen auf, worauf bei der Anwendung neuer Arbeitsformen geachtet werden muss.

Zum Einstieg: Was bedeutet New Work für Sie?

New Work bedeutet eine sich rasant veränderte Arbeitswelt mit weitreichenden ökonomischen, gesellschaftlichen, sozialen, kulturellen und gesundheitlichen Folgen. New Work ist ein Überbegriff einer postmodernen Gesellschaft, der neue Arbeitsformen (z.B. Homeoffice, Remote Work, Gig-Ökonomie) und einen generellen Wandel in der Arbeitswelt beschreibt.

«Grundsätzlich ermöglicht New Work eine räumliche Entkoppelung der Arbeit, welche die Reisezeit reduziert und zu einem ökologischeren Verhalten führen kann.»

Welches gesellschaftliche, wirtschaftliche und ökologische Potenzial hat New Work?

Grundsätzlich ermöglicht New Work eine räumliche Entkoppelung der Arbeit, welche die Reisezeit reduziert und zu einem ökologischeren Verhalten führen kann, da Mobilität wegfällt. Inwiefern dieses Potenzial tatsächlich realisiert wird, ist jedoch unklar . Gleichzeitig sehen wir darin auch ein Risiko: Gerade «digitale Nomaden» haben oft eine erhöhte Mobilität,  weil sie Arbeit bewusst mit unterwegs-sein und Reisen verbinden.

Hinsichtlich des gesellschaftlichen Potenzials hat New Work – in seiner ursprünglichen Idee – die Vorstellung von menschenfreundlicheren Arbeitsverhältnissen und eines menschenzentrierten Arbeitens. Wie sehr diese Aspekte durch den heute stärker betonte Aspekt der Digitalisierung und des erwähnten Wertewandels unterstützt oder gegebenenfalls verhindert werden, ist noch unklar.

Wie verändert sich das Verhältnis zwischen Arbeitgeber:innen und Arbeitnehmer:innen durch New Work?

Wir gehen davon aus, dass New Work ein partnerschaftlicheres Verhältnis mit sich bringen wird, da allein durch die Entkoppelung von Arbeitsorten ein grösseres Mass an Vertrauen zwischen den Akteuren erforderlich ist. Allerdings besteht durch die Entkoppelung auch die Gefahr, dass die Arbeitsverhältnisse weniger gut prüfbar sind, da sie sich in den privaten Raum begeben, wo beispielsweise ein Arbeitsinspektorat keinen Zugriff mehr hat.

Mit New Work haben sich aber nicht nur strukturelle Rahmenbedingungen, sondern auch die Ansprüche der Arbeitnehmenden verändert. Vielerorts wird vermutet, dass Arbeitgeber:innen, die auf die Ansprüche der Arbeitnehmenden im Bereich Remote Work, Flex Work, Coworking Spaces oder Homeoffice reagieren können, Vorteile haben werden, Personen aus der Gen Z anstellen zu können. Die klassische Hierarchie zwischen Arbeitnehmenden und Arbeitgeber:innen ist somit schon mal in Frage gestellt und umgedreht. Beispielsweise beraten Firmen nun Unternehmen, wie sie die Gen Z gewinnen können und warum sie neue Mitarbeitende via TikTok rekrutieren müssen. 

Wie steht es um die Gesundheit der Erwerbstätigen? Wie beeinflusst New Work unser psychisches und physisches Wohlbefinden?

Um potenziell qualifizierte Arbeitnehmende der Gen Z für sich gewinnen zu können, müssen Arbeitgeber:innen (in Zukunft) nicht nur überlegen, wie sie die Arbeit flexibel gestalten können, sondern sie müssen auch sinnstiftende Tätigkeiten anbieten. Eine Strategie der New-Work-Bewegung  ist es, in diesem Zusammenhang Arbeitnehmende zu empowern. Konkret heisst das, in die Selbstwirksamkeit und Selbstbestimmung (Autonomie) der Mitarbeitenden zu investieren bzw. diese gezielt zu stärken. Gemäss Forschungserkenntnissen hat psychologisches Empowerment dann nämlich nicht nur einen positiven Einfluss auf die Arbeitszufriedenheit, die Bindung an die Organisation und die Produktivität der Leistungen, sondern auch auf die allgemeine psychische Gesundheit der Arbeitnehmenden. Dadurch können Stressempfinden und Burnout reduziert werden.

Neue Arbeitswelten- und Formen, in denen die Mitarbeitenden eigenverantwortlich und leidenschaftlich arbeiten und Modelle, die grosse Flexibilität versprechen, bergen aber auch gesundheitliche Risiken. Insbesondere im Bereich der psychischen Gesundheit. Menschen, die zu oft im Homeoffice oder remote arbeiten, leiden beispielsweise häufiger an Einsamkeit  oder Depression. Im Bereich der körperlichen Gesundheit hingegen zeigen wissenschaftliche Studien aktuell keine eindeutige Evidenz.

«Neue Arbeitswelten- und Formen, in denen die Mitarbeitenden eigenverantwortlich und leidenschaftlich arbeiten und Modelle, die grosse Flexibilität versprechen, bergen auch gesundheitliche Risiken. Insbesondere im Bereich der psychischen Gesundheit.»

Welche räumlichen Auswirkungen hat New Work auf die Schweiz?

New Work, mit den zusätzlichen Möglichkeiten, die durch die Digitalisierung entstehen, wird ein Arbeiten in periurbanen und ländlichen Regionen im Grundsatz ermöglichen. Im Falle einer Periurbanisierung* werden auch die periurbanen und ländlichen Gemeinden vom Wachstum profitieren. Aufgrund anderer Theorien in der Raumentwicklung, wie der Cluster-Theorie,  ist jedoch zu erwarten, dass sich die Entwicklung in den urbanen Regionen nach wie vor eine wichtige Rolle darstellt. Es ist daher eher zu erwarten, dass periurbane und ländliche Zentren eine gewisse Aufwertung erfahren, aber nicht die Rolle der Zentren übernehmen.

Welchen Stellenwert wird die Erwerbsarbeit in Zukunft haben?

Der Stellenwert der Erwerbsarbeit in Zukunft ist unklar und mit dem bestehenden Wohlstand verknüpft. Zum einen ist zu erwarten, dass Erwerbsarbeit und dabei insbesondere die Menge der Erwerbsarbeit, kritischer betrachtet wird (Stichworte: Generation Z, Zeitmangel, Work-Life-Balance) und auch in Frage gestellt wird. Auch die verschiedenen Vorstösse auf internationaler Ebene zum Thema Grundeinkommen rücken davon ab, Erwerbsarbeit uneingeschränkt im Zentrum zu sehen. Zum anderen muss man sich bewusst sein, dass diese Sichtweise durchaus durch einen generellen Wohlstand beeinflusst wird. Kann man mit weniger Erwerbsarbeit trotzdem genügend Einkommen generieren, kann die Bedeutung der Erwerbsarbeit abnehmen. Ist dies nicht möglich oder reduziert sich der Wohlstand in der Schweiz, ist nicht davon auszugehen, dass die Erwerbsarbeit wesentlich an Bedeutung verliert.

 

* Unter Periurbanisierung wird die bauliche und sozio- ökonomische Umformung des weiteren Stadtumlands verstanden. Sie bezieht sich auf jene Prozesse des Stadtwachstums, die hybride Landschaften mit fragmentierten städtischen und ländlichen Merkmalen schaffen und steht im Gegensatz zur urbanen Verdichtung.

 

Jahresthema 2023: New Work

Gemeinsam mit zahlreichen Expertinnen und Experten erkundet die plattform im Jahr 2023 das Potenzial von New Work in der heutigen Gesellschaft und identifiziert allfälligen Handlungsbedarf für Politik und Wirtschaft. Bei diesem Interview handelt es sich um einen Auszug aus dem Gespräch mit Dr. Michael Marti und Dominik Robin. Ein vollständiger Ergebnisbericht sowie konkrete Policy-Empfehlungen werden im Winter 2023 vorliegen.

Zu den Personen

Dr. rer. pol. Michael Marti leitet den Bereich Gesellschaft bei Ecoplan, einem wirtschaftlich und politisch unabhängigen Beratungs- und Forschungsbüro. Dort arbeitet er seit 2001 und ist seit 2012 Partner. Seine Schwerpunkte sind in den Bereichen Arbeits- und Sozialpolitik sowie Finanz- und Steuerpolitik. Er studierte Volkswirtschaft an der Universität Bern (1996). Im Jahr 2001 promovierte er am wirtschaftswissenschaftlichen Zentrum der Universität Basel mit einer Arbeit zur Substitution von Arbeitszeit und Beschäftigung. In seiner Tätigkeit bei Ecoplan befasst er sich u.a. mit atypisch-prekären Arbeitsverhältnissen und der Plattformökonomie.

Dominik Robin (lic. phil.) ist seit November 2022 Senior Projektleiter bei Ecoplan im Bereich Gesundheit. An der Universität Basel absolvierte er das Lizentiat in Soziologie und Kulturwissenschaften. Vor seiner Tätigkeit bei Ecoplan arbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Public Health der ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Winterthur und leitete dort Projekte im Bereich psychische Gesundheit. Er ist Mitglied beim Netzwerk psychische Gesundheit Schweiz und bei der European Public Health Association.

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