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«Im digitalen Zeitalter ist lebenslanges Lernen das Gebot der Stunde und Skill-Based-Hiring ein Muss.»
Menschenzentriertes Arbeiten – das bedeutet…?
Menschenzentriertes Arbeiten hat zwei Aspekte für mich. Einerseits geht es darum, Arbeitsmodelle anzubieten, die flexibel sind, das heisst, dass eine gewisse Autonomie besteht, ob remote oder vor Ort gearbeitet wird. Andererseits bedeutet es für mich auch eine Unternehmenskultur und ein Personalmanagement, in dem «menschlicher» miteinander umgegangen wird und Arbeitsplätze «menschengerechter» gestaltet werden.
Können Sie das ausführen? Wie kann man «menschlicher» miteinander umgehen und Arbeitsplätze «menschengerechter» gestalten?
Ein Beispiel dafür ist Diversity. Oft wird Diversity Management nur in Bezug auf Geschlecht gesehen, nicht aber auf Alter oder andere Merkmale. Menschengerechter ist, wenn auf die Individuen in ihrer Vielfältigkeit und mit ihren Bedürfnissen Rücksicht genommen wird. Es reicht nicht, einfach ein paar Diversitätstage durchzuführen. Es braucht Massnahmen, welche den Mitarbeitenden wirklich jeden Tag die besten Rahmenbedingungen bieten. Und Diversity muss auch bei der Rekrutierung berücksichtigt werden. Für KMU ist das z.T. schwieriger, da sie über weniger Ressourcen verfügen.
«Um «menschlicher» miteinander umzugehen und Arbeitsplätze «menschengerechter» zu gestalten, reicht es nicht, einfach ein paar Diversitätstage durchzuführen. Es braucht Massnahmen, welche den Mitarbeitenden wirklich jeden Tag die besten Rahmenbedingungen bieten.»
Ist New Work aus Ihrer Sicht ein reeller Trend oder einfach nur eine Utopie?
New Work ist sicherlich ein Trend und keine Utopie. Unsere Gesellschaft verändert sich, neue Generationen haben andere Ansprüche und Bedürfnisse, neue Technologien bieten neue Möglichkeiten und es kommen bekannte und unbekannte Herausforderungen auf uns zu. Dies führt unmittelbar dazu, dass sich auch die Arbeitswelt entsprechend ändern muss. New Work vor fünfzig Jahren hatte eine andere Bedeutung als New Work heute oder in fünfzig Jahren.
Wie sieht der Weg zu New Work aus?
Aus meiner Sicht sehr steinig. Wir sind in der Schweiz noch sehr weit weg von einer guten Vereinbarkeit von Beruf und Privatem. Die Grenzen zwischen Arbeits- und Privatleben verschwinden immer mehr. Wir bewegen uns aber immer noch in den alten Strukturen von Karriere, Status und Erfolg. Die Gestaltungsmöglichkeiten für New Work sind noch in den Anfängen, die oft geforderte Sinnhaftigkeit ist noch nicht gegeben. Dabei muss auch die Digitalisierung akzeptiert werden. Kreativität und Empathie gewinnen enorm an Bedeutung, wie auch flexibleres Arbeiten und Remote Work. Die Büros müssen als Ort der zwischenmenschlichen Begegnung für Co-Creation und Co-Working neu gestaltet werden.
Welche Rolle spielt Skill-Based-Hiring dabei? Ist das kompetenzbasierte Rekrutieren von Arbeitnehmenden ein Weg zu menschenzentrierterer Arbeit? Vielleicht sogar eine Lösung im Kampf gegen den Fachkräftemangel?
Wir befinden uns im digitalen Zeitalter. Was bedeutet dies für die Entwicklung des Arbeitsmarkts und was sind die Folgen für die Unternehmen? Die digitalen Kompetenzen der Bevölkerung sind grundsätzlich in fast allen Ländern auf einem viel zu tiefen Niveau. Dies ist unter anderem ein wichtiger Grund für den Fachkräftemangel in der Technologie-Branche, aber auch in allen anderen, immer digitaler werdenden Branchen. Das Interesse an MINT-Berufen ist zu gering. Es gilt generell für Unternehmen mehr Quereinsteigende und Frauen zu gewinnen und älteren Mitarbeitenden über das Rentenalter hinaus die Möglichkeit zu geben, ihre Erfahrung weiterhin einzubringen. Deshalb ist lebenslanges Lernen das Gebot der Stunde und Skill-Based-Hiring ein Muss. Die interne Aus- und Weiterbildung gewinnt deshalb immer mehr an Bedeutung.
Die demographische Entwicklung wird den Fachkräftemangel weiter stark vergrössern, da mehr Mitarbeitende in Pension gehen als neue in den Arbeitsmarkt eintreten. Zudem treten die jüngeren Generationen mit anderen Erwartungen beispielsweise in Bezug auf Work-Life-Balance oder Nachhaltigkeit in den Arbeitsmarkt ein. Das menschenzentrierte Arbeiten ist für mich eher eine kulturelle Frage, das Skill-Based-Hiring aber mit Sicherheit ein wesentlicher Beitrag zur Behebung des Fachkräftemangels.
Bei einer kompetenzbasierten Organisation liegen der Mensch und seine Fähigkeiten im Vordergrund, nicht der Job. Welches sind die Vorteile für die Organisation und welches für die Angestellten?
Die Antwort liegt in der Förderung eines Wachstumsdenkens und eines Kulturwandels innerhalb der Unternehmen. Es braucht engagierte und mitwirkende Mitarbeitende. Deshalb muss das Management sicherstellen, dass die Mitarbeitenden in der Lage sind, zukunftssichere Fähigkeiten zu erwerben. Die Unternehmen müssen Plattformen und Tools entwickeln, um die Mitarbeitenden zum Lernen zu befähigen und eine Lernkultur zu schaffen, um neue und bisherige Mitarbeitenden aus- und weiterzubilden.
«Kultur ist die grundlegende Kraft, da es dabei um das 'Wie' geht. Wie wird interagiert? Wie werden Entscheidungen getroffen? Wie werden die besten Ideen eingebracht? Und wie werden die grössten Chancen genutzt?»
Wie können Arbeitgeber:innen sinnstiftende Arbeit fördern?
Werte gewinnen immer mehr an Bedeutung, da sie einen positiven Einfluss auf die Welt in Bezug auf die Umwelt, die Gesellschaft und die Geschäftsethik ausüben. Die Umwelt; das heisst die Entwicklung besserer Wege zur Erhaltung natürlicher Ressourcen, zur Verringerung der Umweltverschmutzung und zur Minimierung klimabedingter Risiken. Die Gesellschaft; das heisst die Schaffung von Freiräumen und Möglichkeiten für alle, mit dem Fokus auf Vielfalt, Gleichberechtigung und Inklusion. Die Unternehmensführung; das heisst Innovationen, Strategien und Praktiken, die Ethik, Vertrauen, Transparenz und vor allem Verantwortung in den Vordergrund stellen. Diese Einteilung ist auch unter dem englischen Begriff ESG (Environmental, Social, Governance) bekannt.
Für alle Unternehmen nimmt der ökologische und wirtschaftliche Druck zu, ihre ESG-Prozesse effizienter und sinnstiftender zu gestalten.
Jahresthema 2023: New Work
Gemeinsam mit zahlreichen Expertinnen und Experten erkundet die plattform im Jahr 2023 das Potenzial von New Work in der heutigen Gesellschaft und identifiziert allfälligen Handlungsbedarf für Politik und Wirtschaft. Bei diesem Interview handelt es sich um einen Auszug aus dem Gespräch mit Alain Gut. Ein vollständiger Ergebnisbericht sowie konkrete Policy-Empfehlungen werden im Winter 2023 vorliegen.
Zur Person
Dr. Alain Gut ist Director Public Affairs bei IBM Schweiz, nachdem er zuvor für den Geschäftsbereich Public und als Mitglied der Geschäftsleitung für das Software-Geschäft in der Schweiz und Österreich verantwortlich war. Er hat an der Universität Zürich Wirtschaftsinformatik studiert und promoviert. Dr. Alain Gut setzt sich in zahlreichen Kommissionen und Gremien für die Themen Informatik in der Bildung, Cyber Security, Mobilität, Datenpolitik und Nachhaltigkeit ein. Er leitet u.a. den Ausschuss «Bildung, Fachkräfte und Diversität» von digitalswitzerland – einer schweizweiten, branchenübergreifenden Initiative, die das Ziel verfolgt, die Schweiz zu einer der führenden digitalen Nationen der Welt zu machen.