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EU-Dossier: Lohnschutz im Fokus – das sind die Fakten
Doch um wen geht es in der ganzen Diskussion rund um die flankierenden Massnahmen (FlaM) im Zusammenhang mit den bilateralen Verträgen mit der EU eigentlich? Warum redet man jetzt plötzlich nur noch über Kosten, statt die Vorteile der FlaM? Was würde das neue bilaterale Abkommen mit der EU ändern und was hat der Bundesrat vor zu verhandeln?
Die plattform stellt die Fakten dar.
► Warum gibt es Diskussionen zum Lohnschutz?
Die Rechtsentwicklung im europäischen Binnenmarkt hat auch Folgen für die Schweiz. Die EU möchte bei einem neuen Abkommen mit der Schweiz erstens die für die Personenfreizügigkeit geltenden Neuregelungen (z.B. neue Entsenderichtlinie) auch für die Personenfreizügigkeit mit der Schweiz übernehmen, und zweitens bestimmte, den freien Wettbewerb im Binnenmarkt betreffende Mängel beseitigen (z.B. unangemessene Hürden oder Sanktionen).
Die Schweiz hat bisher die FlaM nach ihrem Gutdünken umgesetzt und es gibt gewisse Bereiche, bei denen es Anpassungen beim schweizerischen Recht bräuchte (z.B. Entsendegesetz). Gerade beim Lohnschutz sind die Widerstände gegenüber Änderungen bei betroffenem Gewerbe und Gewerkschaften zum Teil recht gross.
Beim Lohnschutz betrifft dies die Bestimmungen zur Entschädigung von Auslagen (Spesen), Voranmelde- und Dokumentationspflicht, Kautionspflicht und Sanktionen (insb. Dienstleistungssperre).
Im Common Understanding mit der EU sind schon gewisse Ausnahmen für die Schweiz definiert. Dies im Bereich Voranmeldefrist, Dokumentationspflicht und Kautionspflicht.
► Warum gibt es Diskussionen zum Lohnschutz?
Betroffen sind EU-Bürger:innen, da sie unter die FlaM der Schweiz fallen.
Seit der Einführung der Personenfreizügigkeit sind in der Schweiz FlaM für alle beschränkten Arbeitseinsätze (bis 90 Tage) für Erwerbstätige aus der EU (angestellt und selbstständig), welche in der Schweiz arbeiten, in Kraft. Es handelt sich um sogenannte meldepflichtige Kurzaufenthalter:innen.
Bei den meldepflichtigen Kurzaufenhalter:innen (272 540 für 2023) sind die Mehrheit (70%) kurzfristige Stellenantritte (173 855) bei Schweizer Arbeitgebenden. Sie leisten Arbeitseinsätze von bis zu drei Monaten in der Schweiz. Mit Abstand die grösste Gruppe ist angestellt bei Schweizer Firmen im Personalverleih, gefolgt von Gastgewerbe, Landwirtschaft und Baugewerbe.
Beim weit kleineren Teil (rund 20%) handelt es sich um entsandte Arbeitnehmende aus EU-Ländern, also um Leute, die weiterhin in ihrem Herkunftsland angestellt sind. Diese arbeiten vorwiegend im verarbeitenden Gewerbe (z.B. Metallgewerbe), im Baunebengewerbe (z.B. Maler und Gipser) und in IT-Berufen und kommen vorwiegend aus den Nachbarländern (80%).
Die dritte Kategorie der meldepflichtigen Kurzaufenthalter:innen sind die selbstständigen Dienstleistungserbringer:innen (rund 10%). Sie arbeiten mehrheitlich im Baunebengewerbe, der Kategorie «Kirche, Kultur, Sport und Unterhaltung» und dem verarbeitenden Gewerbe.
► Kontrollorgane
In der Schweiz wird die Einhaltung der flankierenden Massnahmen durch paritätische Kommissionen (Arbeitgebende und Arbeitnehmende) bei Branchen mit allgemeinverbindlichen GAV und tripartiten Kommissionen (Arbeitgebende, Arbeitnehmende und Staat) bei Branchen ohne allgemeinverbindliche GAV kontrolliert. Dann gibt es noch die sogenannten Kontrollvereine, welche von den paritätischen oder tripartiten Kommissionen mit der Kontrolltätigkeit beauftragt werden können. Die Tripartite Kommission Bund bestimmt zudem gewisse Branchen als Fokusbranchen, welche dann häufiger kontrolliert werden. 2023 wurden 7% der Schweizer Arbeitgebenden mit kurzfristigen Stellenantritten, 26% der Entsandten und 31% der selbstständigen Dienstleistungserbringern kontrolliert.
► Vorgehen bei Verstössen
Bei Verstössen gegen die Entsendebestimmungen gibt es in der Schweiz, wie auch in den EU-Ländern, Sanktionsmöglichkeiten. In der Schweiz gibt es Verwaltungssanktionen oder strafrechtliche Sanktionen. Verwaltungssanktionen sind in der Regel relativ bescheiden, wenn es um Geldbussen geht. Sie rangieren von CHF 5000.- für leichte Verstösse (Dokumentation, Voranmeldefrist) bis zu CHF 30 000.- (Lohnverstösse). Es gibt jedoch die Möglichkeit einer Dienstleistungssperre, welche in anderen EU-Ländern weniger zum Zug kommt. Die Bussen sind aber in vielen EU-Ländern höher – in Deutschland z.B. bis zu EUR 500 000.-.
► Was gilt jetzt für wen und was wird beim Abkommen mit der EU diskutiert?
In den Bereichen Voranmeldefrist, Dokumentationspflicht und Kautionspflicht ist die EU bereit, der Schweiz Ausnahmen zu gewähren. Diese Erfordernisse sollen aber so angepasst werden, dass sie verhältnismässig sind. Im Bereich Spesenregelung ist im «Common Understanding» nichts geregelt, das Anliegen ist aber im Verhandlungsmandat enthalten. Bei den Dienstleistungssperren verlangt die EU, dass diese nur im äussersten Fall angewandt werden dürfen.
Kurzfristige Stellenantritte
Arbeitsbedingungen bisher: Für die Kurzaufenthalter:innen gelten die Schweizer Arbeitsbestimmungen und Löhne. Ihre Schweizer Arbeitgebenden melden die Stellenantritte bei den Schweizer Behörden. Für sie ändert sich nichts.
Entsandte Arbeitnehmende
Arbeitsbedingungen bisher: Entsandte Arbeitnehmende sollen dieselben (minimalen) Arbeitsbedingungen und Löhne erhalten, wie sie in hiesigen Gesetzen und allgemeinverbindlichen Gesamtarbeitsverträgen festgelegt sind oder (mangels Regelung) welche orts- oder branchenüblich sind. Das schliesst Spesen mit ein.
Arbeitsbedingungen neu: Die Entsenderichtlinie der EU sieht vor, dass im Wesentlichen das Prinzip «Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort» gilt. Ausgenommen davon ist die Entschädigung der Spesen (Kost und Logis), welche nach den Bestimmungen des Herkunftslandes geregelt werden soll. Das ist in den meisten Fällen unproblematisch, da die Spesenregelungen ähnlich sind wie im jetzigen Entsendegesetz der Schweiz vorgeschrieben. Es gibt aber eine kleine Anzahl von Ländern, welche keine oder eine für Arbeitnehmende schlechtere Spesenregelung haben. Polen, mit 4% der Entsandten in der Schweiz, hat z.B. keine nationale Regelung. Auch innerhalb der EU wird die Spesenregelung von Entsandten unterschiedlich umgesetzt. Im Verhandlungsmandat will der Bundesrat eine Ausnahme zur Entsenderichtlinie erreichen.
Voranmeldefrist bisher: Die (ausländischen) Arbeitgeber:innen melden Entsandte 8 Tage vor Arbeitseinsatz in der Schweiz an. Ab Tag 1 bei Bauhauptgewerbe, Baunebengewerbe, Garten- und Landschaftsbau, Hotel- und Gastgewerbe, Reinigungsgewerbe in Industrie und Privathaushalten, Überwachungs- und Sicherheitsdienst Handelsreisende und Erotikgewerbe.
Voranmeldefrist neu: Neu soll die Voranmeldefrist 4 Tage (für alle Branchen) betragen. Die Schweiz würde zudem am europäischen Informationssystem IMI angeschlossen, welches den Datenaustausch erheblich erleichtern würde.
Selbstständige Dienstleistungserbringer:innen
Voranmeldefrist bisher: Es gilt eine Voranmeldepflicht von 8 Tagen vor Arbeitseinsatz in der Schweiz. Ab Tag 1 bei Bauhauptgewerbe, Baunebengewerbe, Garten- und Landschaftsbau, Hotel- und Gastgewerbe, Reinigungsgewerbe in Industrie und Privathaushalten, Überwachungs- und Sicherheitsdienst Handelsreisende und Erotikgewerbe. Für (ausländische) Angestellte gelten die Bestimmungen für Entsandte.
Voranmeldefrist neu: Neu soll die Voranmeldefrist 4 Tage (für alle Branchen) betragen. Die Schweiz würde zudem am europäischen Informationssystem IMI angeschlossen, welches den Datenaustausch erheblich erleichtern würde.
Dokumentationspflicht bisher: Selbstständige Dienstleistungserbringer:innen müssen ihre Selbstständigkeit und entsprechende Sozialversicherungsabrechnungen jederzeit dokumentieren können.
Dokumentationspflicht neu: Selbstständige Dienstleistungserbringer:innen müssen ihre Selbstständigkeit und entsprechende Sozialversicherungsabrechnungen im Rahmen von nachträglichen Kontrollen dokumentieren können.
Kautionspflicht bisher: Im Moment gibt es in gewissen AVE-GAV (v.a. Baunebengewerbe und verarbeitendes Gewerbe) eine Kautionspflicht für alle Dienstleistungserbringer:innen – in- oder ausländisch. Diese sind für allfällige Vollzugs- und Verfahrenskosten vorgesehen und werden über die Zentrale Kautions-Verwaltungsstelle abgewickelt, welche im Auftrag der Vollzugsorgane handelt.
Kautionspflicht neu: Im «Common Understanding» wurde festgehalten, dass die Schweiz die Hinterlegung einer verhältnismässigen Kaution verlangen kann, bevor Dienstleistungserbringer:innen erneut Dienstleistungen erbringen, falls diese ihren finanziellen Verpflichtungen vorher schon einmal nicht nachgekommen sind. Also eine Kaution wäre nur im Falle von Verstössen verhältnismässig, nicht zum Vornherein. Da die Kautionspflicht in gewissen GAV für alle gilt, müsste dies für alle abgeändert werden.
Dienstleistungssperren bisher: Bei Verstössen können verschiedene Sanktionen zum Zug kommen, von Geldbussen bis hin zu Dienstleistungssperren.
Dienstleistungssperren neu: Dienstleistungssperren gibt es auch in anderen EU-Ländern, die Frage ist aber, wann sie eingesetzt werden können bzw. ob es verhältnismässig ist. Im Moment werden auch bei Auskunftspflichtsverletzungen oder Lohnverstössen Dienstleistungssperren verhängt. Das wäre in Zukunft nicht mehr möglich. Der Prozess wäre, dass zuerst andere Sanktionen angewandt werden müssten (Verwaltungssanktionen wie Bussen), dann wird beim zweiten Mal, wenn eine Dienstleistung erbracht werden soll, eine Kaution verlangt, und nur wenn diese nicht bezahlt werden, kann es zu Dienstleistungssperren kommen.