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«Ist ein höheres Rentenalter für Frauen gerecht?»

Warum Frauen unbedingt mehr Verantwortung in der Altersvorsorge übernehmen müssen und was geplant ist, um unsere Altersversorgung sicher zu stellen. Ursula Häfliger, Geschäftsführerin der plattform und Verantwortliche Politik beim Kaufmännischen Verband Schweiz erklärt was auf uns zu kommt.

Frauen skandieren an einer Kundgebung «Hände weg von den Frauenrenten!» und «Nein, zum Rentenklau!» – Was ist da los? 

Es ist das Jahr 2021, das Jahr in dem die beiden Reformvorlagen zur Altersvorsorge endlich im Parlament behandelt werden. Frauenstreikkollektive wie auch Gewerkschaften rufen zum Widerstand gegen die geplanten Reformen auf. Die Argumente der Demonstrantinnen können in etwa so zusammengefasst werden: Die Reformen geschehen auf dem Buckel der Frauen. Eine Erhöhung des Rentenalters bedeutet tiefere Renten. Frauen haben tiefere Renten wegen der Care-Arbeit. Das scheint auf den ersten Blick überzeugend. Wir alle haben zumindest schon vom Gender-Pension-Gap oder dem Gender-Pay-Gap gehört, vielleicht auch vom Gender-Care-Gap (vgl. Artikel elleXX).

Warum will das Parlament also diejenigen, die sowieso schon benachteiligt werden, noch zusätzlich etwas wegnehmen? Wo klemmt der Schuh? 

Wie immer lohnt es sich, etwas näher hinzuschauen um zu verstehen, was da los ist. Unsere Altersvorsorge ist nicht nur sehr teuer, sie wird sogar immer teurer, zum Beispiel weil die arbeitende Bevölkerung im Verhältnis zu den Rentnerinnen und Rentnern schrumpft und weil wir immer älter werden. 1948 lebten die Leute im Schnitt nach der Pensionierung mit 65 noch 13 Jahre, heute sind es 22 Jahre, gleichzeitig ist aber der Anteil derjenigen, welche die laufenden Renten im Umlageverfahren der AHV zahlen, also aktive Berufstätige, im Vergleich zu den AHV-Rentnern gesunken (von ca. 6.5 Aktiven pro Pensionierte im Jahr 1948 auf mittlerweile 2.5 Aktive pro Pensionierte).

In der zweiten Säule, welche ja eigentlich ein individuelles Sparguthaben darstellt und nicht eine Versicherung wie die AHV, werden heute Renten finanziert, welche durch die hohen Umwandlungssätze eigentlich nicht mehr finanzierbar wären. Das heisst konkret: Was die Leute angespart haben, reicht eigentlich gar nicht so lange wie die Menschen leben für eine Rente in der vorgesehenen Höhe. Wir leben immer länger, arbeiten aber nicht länger. Dadurch entsteht ein Missverhältnis, weil wir unser System der Altersvorsorge den neuen Umständen nicht angepasst haben.

Bei den Reformvorschlägen für AHV und BVG, welche in der Wintersession 2021 im Parlament behandelt werden, geht es in erster Linie darum, die Finanzierungsperspektiven der ersten und zweiten Säule zu verbessern und diejenigen finanziell zu entschädigen, die bereits in naher Zukunft von den Änderungen betroffen sind, denn viele konnten diese Reformen in ihrer Altersvorsorge noch nicht einplanen. Zusätzlich sollen aber auch die Zukunftsperspektiven von Leuten mit tieferem Einkommen nachhaltig verbessert werden.

Welche Lösungsansätze gibt es? Oft ist die Rede davon, höhere Beiträge anzusetzen oder die Mehrwertsteuer anzuzapfen?

Um die Finanzierungsprobleme der Vorsorgewerke in den Griff zu bekommen, kann man die Zahl der Zahlenden erhöhen, die Beiträge erhöhen oder die Leute länger beitragen lassen. Auch kann man neue Finanzierungsquellen suchen, z.B. konsumabhängige Quellen, wie Mehrwertsteuerbeiträge. Der aktuelle Vorschlag im Parlament sieht eine Verlängerung der Beitragsjahre vor, dies durch eine Angleichung des Referenzalters der Frauen auf 65 Jahre. Hier sind also Frauen direkt betroffen. Auch soll es einen erhöhten Mehrwertsteuerbeitrag geben und einige Parteien wollen sogar Gelder der Nationalbank für die AHV verwenden. Beim BVG soll eine Senkung des Umwandlungssatzes, also der Höhe der lebenslangen Rente, die finanziellen Probleme mindern.

Stichwort: Abfederung. Was sieht der aktuelle Vorschlag des Nationalrats vor? 

Im aktuellen Vorschlag im Nationalrat sollen sowohl die Pensionskassen als auch die AHV die Auswirkungen der neuen Regelungen für die in naher Zukunft Pensionierten aus eigener Kraft abfedern. Allerdings sind sich die Parteien noch nicht einig, wie hoch und wie lange die Abfederung ausfallen soll. Das Problem von Menschen mit tiefem Einkommen hingegen stellt sich nur im BVG, weil die Pensionskassen ja nach dem Prinzip Sparschwein funktionieren. Früher wurde das Rentensparen in der Pensionskasse sogar noch mit einem Zins als «Göttibatzen» ergänzt, heute gibt es keinen Zins mehr. Der aktuelle Reformvorschlag sieht eine Verbesserung der Vorsorge für tiefe Einkommen im BVG vor. Neu sollen auch tiefere Löhne versichert werden können, damit sich auch Geringverdienende ein Altersguthaben ansparen können. Diese neue Regelung betrifft viele Frauen, welche in der Schweiz in der Regel nach der Geburt eines Kindes ihr Arbeitspensum reduzieren.

Weniger erwerbstätig sein, heisst auch im Alter weniger Geld haben. Ist das mit «Rentenklau» gemeint?

Die Unterschiede in der Rentenleistung zwischen Frauen und Männern sind eklatant. In der zweiten Säule haben die Männer rund 60% mehr angespart als die Frauen, in der dritten Säule beträgt der Unterschied etwa 50%. Verheiratete Frauen mit Kindern und höherem Haushaltseinkommen weisen den grössten Pension-Gender-Gap auf. Dies hat mit der traditionellen Rollenteilung in der Familie und den damit verbundenen Erwerbsausfällen von Frauen zu tun. Viele Frauen reduzieren nach der Geburt der Kinder auf Teilzeit und wenden ihre Zeit für unbezahlte Familienarbeit auf. Für Teilzeiteinkommen erschweren in der zweiten Säule zudem der Koordinationsabzug und die Eintrittsschwelle die Situation bezüglich Alterssparen. In der AHV gibt es hingegen keine Rentenunterschiede zwischen Männern und Frauen. Um diese Ungleichheit in der zweiten Säule zu verringern, gibt es verschiedene Ansätze. Eine Variante ist, dass man Einkommen und Rente weitgehend trennt und sozusagen das Modell erste Säule, also AHV, ausbaut und z.B. mit anderen Mitteln (wie Steuereinnahmen) finanziert. Denn ein alleiniges Umlageverfahren ist aufgrund der benötigten Rentenhöhe und den demographischen Voraussetzungen nicht mehr möglich.

Ohne Eigenverantwortung geht es nicht.

Wenn man beim bisherigen 3-Säulen-Modell bleiben will, müssen diese Ungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt nivelliert werden. Das heisst, gleicher Lohn für Männer und Frauen sowie eine höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen und in höheren Pensen. Wenn es uns nicht gelingt, die Erwerbsunterbrüche wegen Elternschaft und gleichmässiger auf die Geschlechter zu verteilen, wird der Gender-Pension-Gap nicht gemildert und die Frauen bleiben stark benachteiligt. Mit einer besseren Verteilung auf die Frauen und die Männer würden sich auch die Risiken auf dem Arbeitsmarkt durch das Elternsein gleichmässiger auf die Geschlechter verteilen. Will man bei einer traditionellen Rollenverteilung innerhalb der Familie bleiben, müssen Erwerbseinbussen durch Care-Arbeit beim individuellen Alterssparen unbedingt berücksichtigt werden. Diese Fragen sollten in jeder Partnerschaft ausgehandelt werden. Am besten bevor man sich dazu entschliesst, Kinder zu bekommen.

Das Problem ist also eine zu tiefe Altersversorgung aufgrund der Lücken in der Arbeitsbiografie?

Mehr Beitragsjahre, höhere Beiträge und Sparmöglichkeiten im Rentensystem, auch bei tieferen oder Teilzeiteinkommen, sind die Grundvoraussetzungen für eine Verkleinerung des Gender-Pension-Gaps in der Schweiz. Das geschieht nicht von heute auf morgen aber es verspricht eine nachhaltige Verbesserung für die Vorsorgesituation der Frauen in der Zukunft.

Fazit...

Die anstehenden Reformen betreffen Leute, die jetzt schon in Rente sind, nicht. Sie betreffen vor allem Leute, künftig in Rente gehen wollen und machen unser Vorsorgesystem finanziell etwas nachhaltiger. Frauen (und Männer) die künftig in Rente gehen, müssen ihre finanzielle Planung entsprechend anpassen. Ein Jahr länger arbeiten oder doch früher gehen? Wie rechnet sich das? Eine Rente von 4000 Franken statt 4800 Franken? Was heisst das jetzt? Für diese sogenannten Übergangsjahrgänge sind finanzielle Kompensationsmassnahmen vorgesehen, die Rente bleibt etwa wie erwartet. Für alle jüngeren Jahrgänge wird unser Vorsorgesystem mit einer Reform finanziell etwas nachhaltiger, die eige Rente aber ohne zusätzliche Sparmassnahmen aber etwas tiefer. Für die Frage, was arbeite ich und wieviel - muss jede Frau und jeder Mann in erster Linie auch selbst Verantwortung übernehmen. Der Staat kann helfen, die Rahmenbedingungen für Chancengleichheit zu verbessern und ein Auffangnetz der sozialen Sicherheit zur Verfügung zu stellen. Um den Rest müssen wir uns selbst kümmern.

 

Erstmals erschienen am 04.01.2022 auf geschlechtergerechter.ch – der neuen Plattform für Geschlechterdialog. 

Zur Person

Ursula Häfliger ist Geschäftsführerin der plattform, der politischen Allianz unabhängiger und lösungsorientierter Angestellten- und Berufsverbände, und Verantwortliche Politik beim Kaufmännischen Verband Schweiz.

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