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Flexibles Arbeiten: Mythen und Realität

Spätestens mit der Corona-Pandemie hat sich das flexible und ortsunabhängige Arbeiten branchenübergreifend etabliert. Berufsleute arbeiten vermehrt remote: ob im Homeoffice, im Coworking-Space oder teilweise auch aus dem Ausland. Diese neuen Arbeitsmodelle stellen Arbeitnehmende und Arbeitgeber vor neue Herausforderungen und müssen entsprechend geregelt werden.

Das gegenwärtige Arbeitsgesetz ist auf fixe Arbeitszeiten im Betrieb ausgelegt. Es stammt aus dem Industriezeitalter und entspricht nicht mehr den neuen gesellschaftlichen und arbeitsmarktlichen Bedürfnissen unserer Dienstleistungsgesellschaft.

Für die plattform ist es deshalb ein wichtiges Anliegen, eine Basislösung für alle Angestellten im Homeoffice zu finden, in der der Gesundheitsschutz und die Arbeitszeiten klar definiert werden. Die Verantwortung vollständig den Arbeitgebern oder den Arbeitnehmenden zu überlassen, scheint wenig sinnvoll. Das bestätigen unsere Recherchen und Mitglieder-Befragungen. Nur mit gemeinsamen Grundlagen, können Arbeitnehmende und Arbeitgeber auch tatsächlich neue Arbeitsformen ausüben und gleichermassen davon profitieren. Fehlen solche Regulierungen, können weder die Rechtssicherheit noch der Gesundheitsschutz sichergestellt werden. Für Angestellte entstehen neue Risiken.

Gängige Mythen rund um flexibles Arbeiten

Über das flexible Arbeiten wird medial viel diskutiert. Doch was in den letzten Jahren zum Usus geworden ist, ist noch lange nicht gesetzlich verankert. Zwar argumentieren viele, dass zusätzliche Regulierungen überflüssig seien, Arbeitnehmende sich selbst am besten organisieren können und der Gesundheitsschutz sowie die Prävention psychosozialer Risiken längst von allen Arbeitnehmenden und Führungskräften verstanden und verankert seien. Diese Argumente und Mythen gilt es unbedingt richtig zu stellen.

 

«Homeoffice ist bereits im Arbeitsgesetz geregelt.»

► Nein. Homeoffice ist nicht im Arbeitsgesetz geregelt. Die Bestimmungen des Arbeitsgesetzes erwähnen vielmehr die «Arbeit im Betrieb». Auch der Gesundheitsschutz ist explizit auf den Betrieb ausgerichtet.

 

«Es braucht gar keine Anpassungen im Gesetz, weil Arbeitgeber und Arbeitnehmende flexibles Arbeiten selber regeln können.»

► Viele Betriebe haben sich seit Beginn der Corona-Pandemie Gedanken über eine Homeoffice-Vereinbarung gemacht. Manche hatten das auch schon vorher. Was diese regeln, ist allerdings sehr unterschiedlich. Oft geht es um Präsenzzeiten und Datenschutz, nicht aber um Gesundheitsschutz, die Regelung der Auslagen und Kostenübernahme im Homeoffice oder die Erreichbarkeit (auch am Abend und während der Wochenenden). Eine einheitliche Handhabung, das heisst eine Regel, welche Punkte in einer Homeoffice-Vereinbarung enthalten sein sollten, ist deshalb sinnvoll.

 

«Die beste Lösung ist, wenn man es den Arbeitnehmenden überlässt, wie, wo, wann und wie lange sie arbeiten wollen.»

► Ja und Nein. Wissenschaftliche Studien belegen, dass die Zufriedenheit von Erwerbstätigen höher ist, wenn sie über mehr Arbeitszeitautonomie verfügen. Das bedeutet, dass sie selber entscheiden können, wann, wo und wieviel Stunden sie arbeiten und nicht aufgeboten oder eingeteilt werden können. Allerdings trifft das nicht auf alle Angestellten zu. Nicht alle können und wollen volle Flexibilität. Viele gewichten die Planbarkeit höher, als die Flexibilität. Zu wissen, von wann bis wann und wo sie jeden Tag arbeiten, bietet ihnen also mehr Sicherheit. Das bringt beispielsweise auch Vorteile beim Arrangieren der Kinderbetreuung. Oft ist diese nicht so flexibel buchbar. Auch gibt es eine Gefahr der Selbstausbeutung. Wir haben festgestellt, dass sich der Präsentismus in gewissen Firmen vom Büro ins Homeoffice übertragen hat. Das heisst, Leute denken, dass sie ständig erreichbar sein und gesehen werden müssen. Und da einem zuhause niemand aus dem «Office» schmeissen kann, liest man ständig Mails oder ist auf WhatsApp-Gruppenchats unterwegs oder hat MS Teams auf dem privaten Handy installiert. Mit anderen Worten: Arbeits- und Ruhezeiten sollten klar in einer Vereinbarung geregelt sein. Führungskräfte sind hier auch gefordert, auf die individuellen Bedürfnisse ihrer Team-Mitglieder zu achten und einzugehen. Man kann nicht alle Mitarbeitenden über einen Kamm scheren.

 

«Das Parlament ist bereits daran, eine Lösung für Homeoffice zu finden.»

► Im Sommer 2021 hat der Ständerat und Präsident des Kaufmännischen Verbands, Daniel Jositsch, die Motion «Gesetzliche Grundlagen für Homeoffice schaffen» im Ständerat eingegeben. Dies nachdem eine Umfrage der plattform im Frühjahr 2020 gezeigt hatte, dass es bei der Arbeit im Homeoffice noch viel Verbesserungsbedarf bzgl. der Rahmenbedingungen gibt. Gesetzlich gibt es kaum Spielraum für zeitliche Flexibilität und die Bestimmungen welche den Gesundheitsschutz bei der Arbeit ausserhalb des Betriebs oder die Eckpfeiler einer Homeoffice-Vereinbarung mit Punkten wie Erreichbarkeit oder Auslagen regeln, sind überhaupt nicht im Gesetz vorhanden. In der vorberatenden Kommission des Ständerats hat das Anliegen Anfang 2022 aber weder von links noch von rechts Unterstützung erhalten. Während die Ratslinke das Arbeitsgesetz nicht antasten will, möchte das bürgerliche Lager dieses radikal verändern. Für ein moderates Anliegen, wie jenes der plattform, gibt es im Ständerat derzeit keine Aussicht auf Erfolg.

► Die unter dem Titel «Homeoffice. Gelebte und akzeptierte Flexibilität legalisieren» eingereichte Motion Wicki hingegen wurde gleichzeitig in der WAK-S behandelt und erhielt Zustimmung aus dem bürgerlichen Lager. Sie fordert, dass alle Bestimmungen zur Arbeits- und Ruhezeit im Homeoffice vollständig den Angestellten überlassen werden. Auch die Sonntagsarbeit, Abend- und Nachtarbeit. Für einen bestimmten Anteil der Angestellten mag diese Lösung zwar zumutbar sein – da sie über einen hohen Grad an Selbstorganisation verfügen und sich auch gegen Druck wehren können – für die meisten jedoch überwiegen die Risiken. Aus Sicht der plattform ist die Motion Wicki daher nicht im Sinne aller Angestellten.

► Zwei weitere Vorstösse zu flexiblem Arbeiten befinden sich aktuell ebenfalls im Parlament: die Pa. Iv. Graber (Ständerat) und die Pa.Iv. Burkart (Nationalrat). Beide adressieren nicht explizit die Arbeit im Homeoffice und richten sich gezielt an Angestellte mit einer hohen Arbeitszeitautonomie. Der Betroffenenkreis ist demnach beschränkt – Von einer Basislösung für alle Angestellten kann hiermit immer noch nicht die Rede sein. Die Pa.Iv. Burkart sieht ausserdem freiwillige Sonntagsarbeit im Homeoffice vor. Die anderen Bestimmungen (Ausdehnung des täglichen Arbeitszeitraums auf 17 Stunden, Ruhezeitunterbrechungen, Verkürzung der Ruhezeit usw.) würden aber sowohl im Betrieb, wie auch im Homeoffice gelten. Die Pa.Iv. Graber sieht in der aktuellen Fassung eine gänzliche Ausnahme vom Arbeitsgesetz für gewisse Angestellten aus gewissen Branchen vor. Auch hier gälte das sowohl für die Arbeit im Betrieb, als auch fürs Homeoffice.

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